Euskirchen - Wie ein Set zum Katastrophenfilm
Die Abschlussübung zum Notarztseminar wurde am Samstag erfolgreich durchgeführt - hier der persönliche Erfahrungsbericht einer teilnehmenden Mimin
Euskirchen - So in etwa stelle ich mir das Set eines Katastrophenfilms vor. Ein Blick durch die Runde offenbart lauter Verletzte. Hier sticht ein Knochen aus dem Bein, dort durchstößt ein Ast einen Oberarm. Blutende Köpfe, verbrannte Oberkörper.
Es ist etwa 11.30 Uhr am Kreishaus in Euskirchen. In knapp zwei Stunden soll die Übung zum Abschluss des Notärzteseminars beginnen, und die fast 70 Verletzten werden zu diesem Zweck präpariert. Ehrenamtliche Helferinnen versetzen den Statisten Schwellungen mit Modelliermasse, Brandblasen mit Latex, alles, was gesund aussieht, wird den fiktiven Umständen angepasst. Denn ein Blitz soll ins Kreishaus eingeschlagen sein. Die Schulklasse, die das Gebäude im Zuge eines Ausfluges besichtigte, wird schwer verletzt.
Erst registrieren, dann ein Kärtchen ziehen. Ich bin gespannt, welche Verletzungen ich mimen soll. Knochenbruch, leichte Verbrennungen, Hörverlust? Während meinem linken Unterarm die Schwellung aufgesetzt wird, werden um mich herum T-Shirts angeflämmt, Gesichter rußschwarz gesprüht, künstliche Hautfetzen langgezogen, Brandblasen trockengeföhnt und Schürfwunden mit einem Schwamm aufgetragen. Ein Statist soll sogar eine Hand verloren haben. Pflichtbewusst trägt er die Kunsthand und bleibt mit ihr aus der Sonne. Denn obwohl die helle Scheibe verführerisch aktiv ist, an diesem Vormittag bleiben die Geschminkten im Schatten – zum Wohle ihrer Wunden.
Auf einem Tisch in der Mitte der Halle bietet sich Versorgung an: belegte Brötchen, Getränke und Obst. Dabei könnte einem der Appetit beim Anblick all der Verletzten leicht vergehen.
Bevor wir uns auf der Wiese positionieren, werden alle Wunden in einem Gruppenfoto festgehalten – wenigstens gleicht dieses Szenario den Aktionen, die auf dem Tagesablauf eines Schulklassenausflugs stehen. Selbst die besitzerlose Hand, die vor der Truppe liegt, kann das Bild nicht stören, denn jeder ist demoliert, von Flammen angefressen oder scheint auszulaufen.
Nachdem die Hand ihren Besitzer wiedergefunden hat, machen wir uns auf zum Ort des Geschehens. Mit Decken setzen wir uns auf die Wiese und warten auf unsere Rettung. Es dauert auch nicht lange, bis Sirenen-heulende Rettungswagen eintreffen. Hilferufe und Schmerzensschreie schallen über das Feld von Verletzten. Das klingt gar nicht mal so unrealistisch. Was darum bei solchen Übungen extrem wichtig ist, ist ein Codewort, das schnell signalisiert, dass das Schauspiel vorbei ist. Wem unter den Statisten zum Beispiel schlecht wird, der wird mit seiner Klage nicht sehr ernst genommen, solange er nicht „no play“ ruft. Zum Glück fällt das Codewort an diesem Tag nicht, wobei man eigentlich an keinem Ort besser versorgt werden könnte. Zum Übungsanlass haben sich das Deutsche Rote Kreuz, die Malteser, die freiwillige Feuerwehr und das Technische Hilfswerk mit mehreren Wagen eingefunden.
Ein Statist hält die Rettungskräfte auf Trab, indem er wie geistesabwesend versucht, die Verletzten wegzuheben. Auch ich versuche, meine Rolle der tauben Verletzten realistisch darzustellen, aber ständig die Feuerwehrleute anzuschreien wird auf Dauer ungemütlich. Andere hingegen werden nicht müde, ihre Schmerzen zu beklagen oder in voller Panik durch die Gegend zu laufen. Wir werden zuerst mit Farben in Kategorien eingeteilt. Wer schwarz erhält, muss an dem Geschehen eigentlich nicht mehr teilnehmen. Blau sind die eher hoffnungslosen Fälle, rot Schwerverletzte. Der Grad der Verletzung wird von gelb zu grün immer niedriger. Nach einer Besprechungspause führen uns Rettungskräfte der Reihe nach in die Versorgungszelte. Letztlich finde ich mich in einem Bus wieder, der uns ins Krankenhaus bringen soll. Andere Verletzte liegen noch auf Tragen, werden in Zelten behandelt oder für den Transport ins Krankenhaus vorbereitet.
Dann neigt sich das Spektakel dem Ende zu. In einer großen Halle sind Pizzabrötchen und Getränke für alle aufgetischt. Hier entwickelt Wasser heilende Kräfte und wäscht die Wunden ab, während die zu prüfenden Notärzte bewertet werden. Es war ein in jeder Hinsicht ungewöhnlicher Tag. Denn wann hat man schon einmal die Gelegenheit, sich den Arm zu brechen, gerettet zu werden und unter grandioser ärztlicher sowie leiblicher Versorgung zu stehen?
Am Ende steht zweifelsohne die erfolgreiche Summe: Alle gerettet, alle getestet, alle versorgt.