Ghana - Jugendrotkreuzlerin für ein Jahr in Afrika (6)
Hier der sechste Bericht unserer Jugendrotkreuzlerin Cathryn Bassett, die für ein Jahr in Afrika lebt, um dort in einem Krankenhaus mitzuhelfen. Dieses Mal berichtet sie von einem ganz besonderen Fall...
Kwame Tettey, der Junge der in der Küche lebt …
In den vergangenen Monaten habe ich in meinen Berichten viel von meinem neuen Leben in Ghana und von der Arbeit im Krankenhaus erzählt. Da sich in meinem nun schon 5. Monat in Ghana weder in meinem Alltag noch in meiner Arbeit etwas verändert hat, möchte ich diesen Bericht einem ganz besonderem Menschen widmen. Und sein Name ist Kwame Tettey.
Tettey ist ca. 4 Jahre alt und lebt seit etwa 2 Jahren im St. Domeniks Hospital in Akwatia, genau genommen in der Küche der Childrens Ward. Tettey leidet seit seiner Geburt unter einer körperlichen und geistigen Behinderung. Trotzdem muss ich gestehen, dass ich selten so einen aufgeweckten und fröhlichen „kleinen Kerl“ wie ihn kennen lernen durfte. Seine Art ist vermutlich auch der Grund dafür, dass er von den meisten Angestellten nur liebevoll „Yεwild“ (der Wilde) genannt wird.
Über Tetteys Eltern ist mir leider nicht viel bekannt, der Vater arbeitet zwar auch irgendwo im Krankenhaus, kümmert sich aber nur sporadisch und meiner Meinung nach „mehr schlecht als recht“ um seinen Sohn. An dieser Stelle ist es wichtig zu sagen, das auch noch heutzutage in Ghana, Erwachsene und Kinder mit Behinderungen gesellschaftlich weniger geachtet werden.
„Kinder mit Behinderungen werden von ihren Eltern oft als Bürde oder sogar als Strafe Gottes angesehen und aus diesem Grund häufig vernachlässigt oder vertoβen.“ (laut: Glovo Ghana Originaltext: Engl.) Von daher ist es auch nicht verwunderlich, das Tettey bei seinem ersten Erscheinen auf der Childrens Ward völlig unterernährt und vernachlässigt war und die Spuren dessen auch noch heute erkennbar sind.
Seine Mutter ist weder, mir noch dem Krankenhaus bekannt. Sie soll schon kurze Zeit nach der Geburt des Jungen verschwunden sein und ihren Sohn bei seinem Vater zurück gelassen haben. Bei ihr liegt höchstwarscheinlich auch die Schuld für Tetteys Schicksal, da sie laut dem Krankenhauspersonal vor und während der Schwangerschaft des öfteren groβe Mengen Alkohol konsumiert haben soll.
Auch wenn ich bisher noch nichts von Tettey erzählt habe, ist er seit jetzt beinahe fast vier Monaten der Mittelpunkt meiner Arbeit auf der Childrens Ward. Ich verbringe so viel Zeit wie nur irgend möglich mit ihm und versuche gezielt Arbeiten, wie z.B. Verbände falten oder den anfallenden „Papierkram“ in der Küche zu erledigen. Ich erwische mich sogar manchmal dabei, dass ich minutenlang so fasziniert von Tettey bin, dass ich darüber das Arbeiten ganz und gar vergesse. Wenn ich nicht auf der Childrens Ward bin, sondern in einem anderen Department arbeite, gehe ich meistens nach meiner regulären Schicht rüber auf die Childrens Ward und verbringe einen Teil meines Nachmittages mit ihm.
Aber nicht nur ich, sonder auch andere Freiwillige z.B. Mona (beendete Anfang Februar ihren 6 monatigen Freiwilligendienst in Ghana) und Eddy mein Projektpartner, kümmern sich um Tettey. Auch sie „opfern“ einen Teil ihrer Freizeit und gehen mit ihm am Nachmittag auf dem Krankenhausgelände spazieren, da er leider (wenn keiner von uns Volunteers da ist) die meiste Zeit in seinem Gitterbettchen in der Küche verbringen muss.
Zwar gibt es auch andere Schwestern und Pfleger aus der Station, doch haben diese, anders als wir Freiwilligen, deutlich mehr Aufgaben zu erledigen und Kinder zu betreuen, sodass sie sich leider nicht die ganze Zeit nur um Tettey kümmern können. Zudem ist zu sagen, dass es Monas Initiative zu verdanken ist, das ich auf Tettey aufmerksam geworden bin.
Über den Grad von Tetteys Behinderung kann ich leider keine qualifizierten Auskünfte geben, da ich nicht das medizinische „KnowHow“ besitze eine Diagnose zu stellen und auch seine Krankenakte in diesem Punkt nicht besonders ergiebig ist. Was ich weiβ, ist dass er unter einer Skoliose (einer deformierten Wirbelsäule) leidet, welche vermutlich auch Auswirkungen auf die inneren Organe und die Hüfte hat. Desweiteren leidet er an Strabismus (Schielen).
Seine geistige Behinderung scheint mir glücklicher Weise mittlerweile doch nicht mehr so gravierend, wie anfänglich angenommen und lässt sich vermutlich gröβtenteils auf die vorangegangene Vernachlässigung zurückführen. Aufgrund von mangelnder Zuwendung und fehlenden sozialen Kontakten in der Vergangenheit, leidet er jedoch unter starken Entwicklungsdefiziten, die sich nur langsam im Laufe der Zeit ausgleichen lassen.
Trotzdem sind momentan gerade im Bereich Essen, Laufen, Sprechen, Spielverhalten und Fokussierung der Aufmerksamkeit deutliche Fortschritte erkennbar. Für mich ist deshalb jeder Tag mit ihm wie ein kleines Wunder.
Für mich ist er das süβeste Kind der Welt, dass trotz den vielen Hindernissen in seinem noch kurzen Leben sehr viel und sehr gerne lacht, es liebt in seinem Bettchen zu turnen, Alles bis ins kleinste Detail zu erforschen und am Hals gekitzelt zu werden.
Auch wenn es vermutlich viele für Kinder deutlich ungeeignetere Orte gibt, als das St. Domeniks Hospital, ist es natürlich klar, dass Tettey nicht für den Rest seines Lebens ein Bettchen in der Küche der Childrens Ward bewohnen kann. Deshalb, beschäftige ich mich derzeit mit der Suche nach einem geeigneten Kinderheim, was sich jedoch als garnicht so einfach herausstellt.
Nicht, dass es nicht genügend Kinderheime in Ghana gäbe (ganz im Gegenteil), nur lehnen diese Tetteys Aufnahme entweder aufgrund seiner speziellen Bedürfnisse vonvorneherein ab bzw. stellen Auflagen, die unter den gegebenen Verhältnissen einfach nicht erfüllbar sind. Oder die Heime genügen in keinster Weise meinen Vorstellungen.
Denn eines meiner Kriterien ist, dass Tettey nicht von „einer Küche in die nächste kommt“. Ich will, dass ihm endlich die Hilfe zuteil wird, die er dringend benötigt und meiner Meinung nach verdient hat und dass ich wann immer ich auch jemals nach Ghana zurückkomme, ich sehen kann, dass es ihm gut geht.
Deshalb, auch wenn ich Deutschland oft vermisse, weiβ ich doch, dass hier noch etwas ist, dass ich zu erledigen habe! Damit ich, wenn ich dann gehe erzählen kann, von Kwame Tettey, dem Jungen der in der Küche lebte ...