Kreis Euskirchen - Alles ist gut, auch wenn es weh tut
Dr. Wilfried Nelles referierte und diskutierte bei Jahresabschlussveranstaltung der Rotkreuz-Familienbildung mit Rotkreuzlern, Angehörigen von 22 Familienzentren unterschiedlicher Träger und unter anderem auch zwei Bürgermeisterinnen
Kreis Euskirchen/Eifel - Mit dem Marmagener Lehrtherapeuten, Psychologen und Soziologen Dr. Wilfried Nelles hatte das Rote Kreuz im Kreis Euskirchen einen ganz außergewöhnlichen und ausgezeichneten Referenten für seine Jahresabschlussveranstaltung der DRK-Familienbildung gewonnen.
Nelles las nicht nur aus seinem neusten Buch „Die Sehnsucht des Lebens nach sich selbst“, er stellte sich vor allem als versierter Gesprächspartner heraus, fast möchte man schreiben „Berater“ des prall gefüllten Auditoriums im Rotkreuzzentrum Kreis Euskirchen/Eifel.
Eingeladen waren Leute aus der eigenen Rotkreuz-Mannschaft, vor allem aber Vertreter jener 22 Familienzentren unterschiedlichster Träger im Kreis Euskirchen, die mit der Familienbildung und der Bildungsakademie des Roten Kreuzes im Kreis Euskirchen kooperieren. Auch die Kommunen nahmen teil, allen voran die Bürgermeisterinnen Sabine Preiser-Marian (Bad Münstereifel) und Anna-Katharina Horst (Weilerswist).
Mehr als Blut und Blaulicht:
Bildungsarbeit zum Beispiel
Rotkreuz-Kreisgeschäftsführer Rolf Klöcker stellte sich und seine weitverzweigte Organisation in Rede und Filmspot vor. Dabei wurde deutlich, wie verkürzt es wäre, das Rote Kreuz in Eifel und Börde auf Blutspende und Blaulichteinsätze zu reduzieren. „Das Rote Kreuz kümmert sich um den ganzen Menschen“, konstatierte Klöcker: „Und zwar um alle Menschen ungeachtet ihrer Religion, Hautfarbe oder Staatsangehörigkeit.“
Der Anspruch von Universalität und Neutralität kommt auch der Bildungsarbeit im und durch das Rote Kreuz zu, wie Ilona Raabe, die Leiterin der Familienbildung, in ihrer Begrüßung festhielt. Sie bedankte sich bei den Vertreter/innen der Familienzentren für das gegenseitige Vertrauen und die rege Inanspruchnahme der Bildungsangebote.
Zum Team von Familienbildung und Bildungsakademie gehören Ute Michaelis, Daniel Larres, Simone Heiliger, Manuela Rusterberg, Patrick Dost und Ilona Raabe. Letztere sagte: „Unser Team steht! Das Rote Kreuz im Kreis Euskirchen ist flächendeckend präsent in Kindertagesstätten, Familienzentren, durch vielfältige Kursangebote, kurzum in vielfältigen Dienstleistungen am Menschen.“
Bevor die Leiterin das Jahresprogramm der Bildungsakademie und Geschenktüten mit Familienkalendern verteilte, kündigte sie den Top-Akt der Zusammenkunft im Rotkreuzzentrum an, die mit einem Stehempfang eröffnet worden war. Es waren Lesung und Diskussion mit Dr. phil., M.A. Wilfried Nelles, Lehrtherapeut für Systemaufstellungen (DGfS).
„Die Sehnsucht des Lebens
nach sich selbst“
Moderator Manfred Lang stellte den 1948 geborenen und in Marmagen aufgewachsenen Therapeuten und Menschenkenner dem proppenvollen Auditorium vor. Gegen zeitweise heftige Widerstände klassisch-humanistisch gebildet am Hermann-Josef Kolleg Steinfeld, gelangte Nelles nach einem recht kurzweiligen Studium der Politischen Wissenschaft, Soziologie und Psychologie mehr zufällig als gewollt im Wissenschaftsbetrieb.
Und dann änderte sich alles: Während der Arbeit an seiner Habilitation wurde Nelles immer klarer, dass Wissenschaft, Politik und Gesellschaft ihn immer weniger interessierten. Er kündigte und machte sich auf einen vollkommen neuen Weg, ohne zu ahnen, wo der ihn hinführen würde.
Von Anfang der 80er bis Mitte der 90er Jahre durchlebte der promovierte und fast zum Professor aufgestiegene Psychologe spirituelle Wander-, Such- und Lehrjahre und machte umfangreiche Selbsterfahrung und Trainings in diversen Methoden der humanistischen Psychologie. Nelles sammelte zehn Jahre Gruppenerfahrung als Leiter von Selbsterfahrungs- und Meditationsgruppen, widmete sich schließlich dem Familienstellen und entwickelte in mehreren Schritten eine neue Art der Aufstellungsarbeit, die er Lebensintegrationsprozess (LIP) nennt.
Der Fokus liegt dabei nicht auf den Beziehungen zur Familie, dem so genannten „Systemischen”, sondern auf dem eigenen Leben und dem Erkennen von dessen innerem Sinnzusammenhang. Manfred Lang stellte die bisherigen Buchtitel von Wilfried Nelles vor: „Sie sprechen für sich und eröffnen uns seine Sichtweise.“
Beim Jahresabschluss der Rotkreuz-Familienbildung ging es um die jüngste Publikation „Die Sehnsucht des Lebens nach sich selbst“, vorherige Titel lauteten „Umarme dein Leben - Wie wir seelisch erwachsen werden“, „Männer, Frauen & die Liebe - Über kindliche Ansprüche und erwachsene Bedürfnisse“ und „Das Leben hat keinen Rückwärtsgang - Die Evolution des Bewusstseins, spirituelles Wachstum und das Familienstellen“.
Tatsächlich: „Et hätt noch
ömme joot jejange“
Der Moderator übersetzte die Kernthese von Wilfried Nelles plastisch in rheinische Mundart: „Et öss, wie et öss, et kütt wie et kütt – unn et hätt noch lang net ömme joot jejange.“ Nelles widersprach, ebenfalls rheinisch: „Doch, egal, was passiert, auch das Traurige und Widerwärtige will ins Leben integriert werden: „Et hätt noch ömme joot jejange.“
Denn menschliche Existenz berge Abschied und Trennungsschmerz in sich: „Der Fötus ist ohne Mutter nicht lebensfähig, aber wird er nicht geboren, sterben beide, Mutter und Kind. Und die Geburt ist für das Ungeborene wie der Tod: Es verlässt seine Welt und wird in eine völlig andere unbekannte und zu Anfang womöglich auch noch widrige Umgebung geworfen.“
Ähnlich verhalte es sich bei den Übergängen aus der Kindheit zur Jugend und von dort zum Erwachsenwerden. Insgesamt unterscheidet der Marmagener sieben Lebensphasen, die wie die Räume in Hermann Hesses „Stufen“-Gedicht durchschritten werden wollen.
Beim Familienstellen eröffneten sich oft jene Konflikte, die bei den Übergängen entstanden und wo wir nicht wie Erwachsene reagieren, sondern wie das verlassene oder das gekränkte Kind oder der unterdrückte aufbegehrende Jugendliche.
„Wir werden lebendig, wenn wir uns vom Leben berühren lassen“, sagte Wilfried Nelles, der sich nach seiner Lesung auf eine angeregte Diskussion mit dem Auditorium einließ: „Dieses Berührtwerden kann ebenso schön wie schmerzhaft sein. Wenn wir nur das Schöne wollen und vor dem Schmerzhaften oder Traurigen zurückschrecken und alles unter Kontrolle behalten wollen, sterben wir innerlich.“
pp/Agentur ProfiPress