Kreis Euskirchen - Eifeler unterm sozialen Dach
Familiengenossenschaft Nordeifel-Euskirchen organisiert konkrete Hilfe für Arbeitnehmer und ihre Angehörigen vor Ort – Unternehmerabend in Kall stieß auf starke Resonanz – Gründung im Juli geplant – Auch das Rote Kreuz im Kreis Euskirchen und die Stiftung Evangelisches Altenheim Gemünd stehen für Familienhilfe, Kinder- und Seniorenbetreuung zur Verfügung - Weitere Betriebe sollen mitmachen und sich melden
Kreis Euskirchen/Kall – Wer hilft, wenn die Kinder klein und die alten Eltern dement sind? Wer passt auf die „Pänz“ auf, wenn beide Elternteile berufstätig sind und unplanmäßig auf Geschäftsreise müssen? Wer kann im Haushalt die ersten Wochen ehrenamtlich anpacken, wenn die Mutter nach der Entbindung mit Zwillingen nach Hause kommt? Wer geht einkaufen oder hilft bei Behördengängen, wenn in der Familie aus irgendwelchen Gründen gerade „Land unter“ ist?
Diese und mehr Fragen kann eine Familiengenossenschaft nicht nur beantworten, sie organisiert auch handfeste Hilfe in schwierigen Situationen. Das war Tenor eines Unternehmerabends im Kaller Bürgerhaus, an dem vergangenen Mittwoch auf Einladung der VR-Bank Nordeifel eG mehr als 100 interessierte Geschäftsleute und Vertreter gemeinnütziger Organisationen teilnahmen. Darunter auch Rolf Klöcker, der Geschäftsführer des Roten Kreuzes im Kreis Euskirchen. Ziel war die Vorbereitung einer solchen Familiengenossenschaft für die Nordeifel und den Kreis Euskirchen.
Eine Familiengenossenschaft erbringt soziale Dienstleistungen, die der einzelne Betrieb für seine Mitarbeiter gar nicht durchführen könnte, zum Beispiel auf dem Gebiet der Kinder- und Seniorenbetreuung, Krankenpflege, Haushaltshilfe und dergleichen. Die Familiengenossenschaft berät nicht nur, sie begleitet, vermittelt und organisiert konkrete Hilfe. Auch das Rote Kreuz im Kreis Euskirchen und die Stiftung Evangelisches Altenheim Gemünd stehen für Familienhilfe, Kinder- und Seniorenbetreuung zur Verfügung.
Mitglied werden in der Familiengenossenschaft nicht die einzelnen Arbeitnehmer, sondern die Betriebe treten für ihre Belegschaft dem sozial-solidarischen Zusammenschluss bei. Damit steigern sie auch ihr Image und ihr Ansehen als Arbeitgeber. Ein Faktor, der angesichts dramatisch weniger werdender Fachkräfte in Zukunft ungeheuer an Bedeutung gewinnen wird. Attraktive Arbeitgeber in der Eifel sollen die Abwanderung junger Eifeler Fachkräfte in die Städte verhindern – und womöglich neue Mitarbeiter mit ihren Familien für die Eifel gewinnen.
Den Prozess angeregt hat die Wirtschaftsförderungsabteilung der Kreisverwaltung vor knapp zwei Jahren. In einer Versammlung mit Unternehmern und Behördenvertretern im Gemünder Kurhaus entstand die Idee zur Bildung eines „Netzwerks Familie und Beruf im Kreis Euskirchen“. Die Federführung fiel dem Vorstandsvorsitzenden Bernd Altgen und dessen VR-Bank Nordeifel zu.
Das Institut mit gut 150 Beschäftigten ist bereits seit Jahren als „Familienfreundlicher Arbeitgeber“ zertifiziert. Die Bank gilt bundes- und landesweit als Best-Practice-Modell, also Vorzeigeobjekt. Altgen und andere führende Mitarbeiter der VR-Bank Nordeifel wirken in entsprechenden Arbeitskreisen der Düsseldorfer Ministerien und auch auf Bundesebene mit.
Bis heute haben sich 150 Protagonisten – Firmen, Institutionen, Verbände und beispielsweise auch Gebietskörperschaften wie der Kreis Euskirchen und die die Stadt Mechernich - dem „Netzwerk Familie und Beruf im Kreis Euskirchen“ angeschlossen. Damit ist man in der Region Nordeifel-Euskirchen weiter als andere.
Aus dem existierenden Netzwerk heraus, das sich als Interessengemeinschaft sowie als Plattform für den Informations- und Erfahrungsaustausch sowie für die Zertifizierung familienfreundlicher Betriebe versteht, soll nun eine Familiengenossenschaft gebildet werden, so die Idee von Bernd Altgen und seinen Mitstreitern. Eine solche Familiengenossenschaft ist nicht mehr nur Forum der Beteiligten wie das Netzwerk, sondern konkrete Hilfs- und Dienstleisterin für die angeschlossenen Betriebe.
Zwei Dutzend Arbeitgeber
stehen zum Startschuß bereit
Die VR-Bank Nordeifel hatte bereits im Vorfeld des Kaller Unternehmerabends Mitstreiter aus dem „Familiennetzwerk Familie und Beruf im Kreis Euskirchen“ für die Bildung einer Familiengenossenschaft begeistert. Die Veranstaltung im Kaller Bürgerhaus diente der Überzeugung weiterer Firmenchefs. Maßgebliche Leiter großer Unternehmen wie Schoeller in Hellenthal, aber auch kleinere mittelständische Betriebe wie das Architektur- und Ingenieur-Büro Bernd Becker aus Kall nahmen an der Veranstaltung teil.
Die federführende VR-Bank Nordeifel eG hatte Professor Dr. Jutta Rump von der Fachhochschule Ludwigshafen sowie Jürgen Scholz, den Geschäftsführer der bereits „laufenden“ Familiengenossenschaft Münsterland eG, als Referenten gewonnen. Rump gehört zu den 40 führenden Köpfen des Personalwesens und zu den acht wichtigsten Professoren für Personalmanagement im deutschsprachigen Raum.
Beide stellten das Modell „Familiengenossenschaft“ so erfolgreich vor, dass am Ende 20 weitere Unternehmer ihre ausliegenden Rückmeldekarten abgaben, um sich für weitere Qualifizierungsangebote oder direkt als potenzielle Mitglieder für die Familiengenossenschaft Nordeifel-Euskirchen anzumelden. Die Gründung ist für Anfang Juli geplant, also ist noch Spielraum für andere Betriebe, sich und damit ihre Beschäftigten unter das neue soziale Dach zu bringen.
Zusammenarbeit mit bereits
„laufender“ Familiengenossenschaft
Es ist keine hundertprozentige Neugründung geplant, man will vielmehr eine Zweigniederlassung- die Familiengenossenschaft Nordeifel-Euskirchen - der bereits erfolgreich arbeitenden Familiengenossenschaft Münsterland eG mit ihrem Knowhow und Management, gründen. Im Kreis Euskirchen soll ein Mitarbeiter vor Ort Ansprechpartner, Organisator und Berater sein, der sich jeweils der Mithilfe in Münster bedienen kann.
Jürgen Scholz erläuterte in Kall nicht nur, wie das von der einfachen Beratung über die Begleitung bis zur Organisation ganz konkreter Hilfspakete funktioniert. Er sagte den Unternehmern auch direkt, was es kostet. Nämlich 300 Euro im Jahr als Sockelbetrag und dann nochmal zwischen 25 und 975 Euro je nach Anzahl der Beschäftigten im Startstadium. Die Vorzüge der ersten Stufe können die Unternehmen jetzt schon in Anspruch nehmen. In der ersten Stufe steht die Münsteraner Genossenschaft telefonisch beratend den Unternehmen zur Seite. In der zweiten Stufe, die ab dem 2. Juli 2014 starten soll, erhalten die beigetretenen Unternehmen aktive Unterstützung von dem Mitarbeiter vor Ort sowie der Familiengenossenschaft Münsterland.
Finanziert wird das Dienstleistungsunternehmen durch jährliche Mitgliedsgebühren von zehn Euro pro Mitarbeiter und Jahr an. Ein Betrieb mit 25 Mitarbeitern zahlt also 250, ein Unternehmen mit 500 Leuten 5000 Euro Beitrag an die Familiengenossenschaft. Erfahrungsgemäß nähmen etwa drei Prozent der Beschäftigten im Jahr die Dienste der Familiengenossenschaft in Anspruch, so Jürgen Scholz. Der Aufwand sei also überschaubar, der Nutzen enorm.
„Denn wenn Sie nichts tun“, dozierte Professor Jutta Rump, „dann bleiben die Fachkräfte bald weg“. Sie erklärte klipp und klar, was man volkswirtschaftlich, aber auch betriebswirtschaftlich unternehmen müsse, um einer Unterversorgung des deutschen Arbeitsmarktes von geschätzten 6,5 Millionen Fachkräften im Jahre 2030 vorzubeugen. Das „platte Land“ wie die Nordeifel und der Kreis Euskirchen wären besonders schwer betroffen, wenn die Betriebe nichts unternähmen, um als Arbeitgeber interessanter zu werden.
„Wenn die Eifel nichts tut,
wandern junge Fachkräfte ab“
„Die jungen Arbeitnehmer sind wählerisch und sie können wählen, nicht nur, aber auch zwischen Stadt und Land“, so Prof. Rump: „Die Aussicht, in 30 Jahren noch mit denselben Kollegen zusammenzuarbeiten, ist nicht sehr attraktiv.“ Aber in der Familiengründungsphase seien auch heute für junge Arbeitnehmer Verlässlichkeit und Geborgenheit durch eine Firma, zu der man „stehen kann“, sehr wichtig.
Familienfreundliche Arbeitgeber, die sich nicht schulterzuckend abwenden, wenn ihre Leute zu Hause Probleme bekommen, sondern helfen, seien beliebte Arbeitgeber. Familienpolitik, bei der die VR-Bank Nordeifel in Düsseldorf mitwirkt und die sie auch im Kreis Euskirchen zu konkreten Maßnahmen führen soll, sei „heute und in Zukunft ein Teil der Wirtschaftspolitik“, so Professor Rump.
Bernd Altgen hat das früh erkannt und umgesetzt. Er beschäftigt sich bereits seit 20 Jahren mit den Auswirkungen der Demografie: „Der altersmäßige Umbau unserer Gesellschaft zeichnete sich ab, es war klar, dass wir eine neue soziologische Struktur bekommen, vor allem bei uns auf dem Land.“
Für den Vorstandsvorsitzenden der VR-Bank Nordeifel erhob sich frühzeitig die Frage: „Was werden wir tun müssen, um junge Menschen auch als Fachkräfte in der Eifel zu halten – und was werden wir tun müssen, um zusätzliche Kräfte zum Zuzug in die Eifel zu motivieren? Und was müssen wir tun, um die älter werdende Mitarbeiter gesund und arbeitsfähig zu halten?
Er erkannte: „Die Zeiten gehen in der regionalen Wirtschaft, aber auch in der Kommunalpolitik zu Ende, in denen jeder nur allein für sich marschiert.“ Das im März 2012 gegründete Netzwerk „Familie und Beruf im Kreis Euskirchen“ sei ein erster Schritt. Wenn genügend Unternehmen mit genügend Beschäftigten und auch haupt- und ehrenamtliche Unterstützer und ihre Organisationen mitmachen, dann sei die Bildung der Familiengenossenschaft Nordeifel-Euskirchen der nächste.
Das „Netzwerk Familie und Beruf“ bleibt unabhängig der Frage bestehen, ob sich bis Juli genügend interessierte Unternehmen für die Bildung der Familiengenossenschaft melden. Ansprechpartnerin ist Gisela Caspers, Tel. (0 24 45) 95 02 115, E-Mail: <link gisela.caspers@vr-banknordeifel.de>gisela.caspers@vr-banknordeifel.de</link>
Neben der Gründungsversammlung der Genossenschaft plant das von Bernd Altgen und Iris Poth geführte „Netzwerk Familie und Beruf im Kreis Euskirchen“ dieses Jahr noch zwei Informationsveranstaltungen. Dabei wird der Kooperationspartner Kreis Euskirchen den so genannten „Pflegekoffer“ vorstellen. In einer weiteren Veranstaltung des Familiennetzwerks informiert die Auditorin Astrid Laudage über die Möglichkeiten für Betriebe, sich als „Familienfreundliche Arbeitgeber“ von der Bertelsmann-Stiftung zertifizieren zu lassen.
Die IHK Aachen und die Handwerkskammer Aachen, die an der Veranstaltung in Kall teilgenommen haben, haben die große Chance dieser infrastrukturellen Pionierarbeit der VR-Bank Nordeifel erkannt. Fritz Rötting von der IHK und Willi Weber von der Handwerkskammer erklärten noch vor Ort ihre Bereitschaft zur Unterstützung. Beide Institutionen wollen gemeinsam mit der VR-Bank Nordeifel in 2014 Veranstaltungen in der Eifelregion durchführen.
pp/Agentur ProfiPress