Mechernich - Zusammen, was zusammengehört
Das Rote Kreuz wachte beim Jahresempfang 2019 der Stadt Mechernich über Sicherheit und Gesundheit der 400 Gäste – Erstmals war auch der Schulsanitätsdienst des Gymnasiums am Turmhof mit im Einsatz - Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick zur politischen Vereinigung von Mechernich und Kommern vor 50 Jahren: „Keine tausend Schritte auseinander, aber über Jahrhunderte an den Rand der Kreise Euskirchen und Schleiden gedrängt“ - Picke-packe-volle Aula, tolle Musik mit dem Aditya-Duo und eine kurzweilige Plauderrunde mit den Zeitzeugen Dr. Karl-Heinz Decker, Heinz Kehmeier, Peter Wassong und Hubert Büth
Mechernich – Kommern und Mechernich, zwei der bedeutendsten Wirtschaftsstandorte in den Kreisen Euskirchen und Schleiden über Jahrhunderte, lagen seit Napoleon an der äußersten Peripherie ihrer Kreise. Und das, obwohl beide Zentren gerademal tausend Schritte voneinander entfernt sind.
Nicht auszudenken, was aus dem brummenden Wirtschaftsmotor der Region hätte werden können, wenn die beiden Randkommunen von Euskirchen und Schleiden bereits im Zeitalter der Industriellen Revolution in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch struktur- und kommunalpolitisch zueinander gefunden hätten. Im Tal der Wupper war die Ausgangssituation ähnlich, dort explodierte die Wirtschaft geradezu, als sich die Dörfer zur Stadt Wuppertal formierten.
Tatsächlich kamen die beiden Zentralorte Mechernich und Kommern erst vor 50 Jahren bei der sogenannten Kommunalen Neugliederung in zwei Schritten, 1969 und 1972, zu einer Kommune zusammen, die 1975 zur Stadt erhoben wurde. Der Jahrestag der ersten Neugliederung Mechernichs wird zusammen mit dem zehnjährigen Bestehen des neuen Rathauses am Samstag, 25. Mai, gebührend gefeiert.
Den turbulenten Weg dorthin skizzierte Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick in seiner Ansprache zum Jahresempfang der Stadt Mechernich am Sonntag, 17. März. Einige Hundert Gäste, auch diesmal eine repräsentative Auswahl aus Bürgerschaft, Vereinen, Wirtschaft und Behörden, quittierten Schicks Ausführungen mit langanhaltendem Applaus.
Beim Jahresempfang der Stadt einmal mehr im Hintergrund im Einsatz waren die Freiwilligen des Rotkreuzortsvereins Mechernich. Die Rotkreuz-Bereitschaft Mechernich unter der Leitung von Sascha Suijkerland sorgte für die Sicherheit und Gesundheit der Besucher. Erstmals mit eingesetzt war auch der Schulsanitätsdienst des städtischen Gymnasiums Am Turmhof mit Peter Weidenfeld und Timo Prokraka.
Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick schloss in der picke-packe-vollen Aula des Mechernicher Schulzentrums mit einem Appell, sich Heimat und Zusammengehörigkeit nicht kleinreden zu lassen: „Um auf die in jüngster Zeit geäußerten Sorgen reagieren zu können und im Interesse der gesamten Bürgerschaft haben Stadt und Kreis unter wissenschaftlicher Begleitung eines namhaften Umweltmediziners die erforderlichen Untersuchungen beauftragt. Bei allen Problemen und berechtigten Sorgen, die die geogene Bleibelastung in unseren Böden und die Altlasten des Bergbaus noch immer mit sich bringen: Wir dürfen stolz sein auf unsere Stadt, ihre Geschichte und unsere Vorfahren.“
Eröffnet hatte der Bürgermeister seine Ansprache mit einem zunächst nicht näher belegten Zitat, in dem auf größere Verwaltungseinheiten, effektiveres Arbeiten und modernere Dienstleistungsstrukturen in Kommunen gedrungen wurde.
Schick: „Fast könnte man meinen, es handele sich bei der Eingangssequenz um ein aktuelles Zitat des 21. Jahrhunderts. Tatsächlich habe ich aus dem über 50 Jahre alten Erlass des damaligen nordrhein-westfälischen Innenministers Willy Weyer vorgelesen, dem offiziellen Startsignal für die kommunale Neugliederung.“
Das Ende der „Liliputgemeinden“
Dem vorausgegangen waren damals jahrelange Diskussionen, wie man verwaltungstechnisch nicht mehr lebensfähige „Liliputgemeinden“, die oft nur ein Dorf umfassten und weniger als 500 Einwohner hatten, zu neuen Kommunen zusammenfassen könnte. Zur Rede standen 85 Gemeinden im damaligen Altkreis Euskirchen und 71 im Altkreis Schleiden, die heute in den elf Städten und Gemeinden des neuen Kreises Euskirchen vereint sind.
Als Zeitzeugen stellten sich in einer Podiumsdiskussion zum Jahresempfang der ehemalige Dahlemer Gemeindedirektor und Mechernicher Amtschef Hubert Büth, die Altbürgermeister Heinz Kehmeier und Peter Wassong sowie Ex-Oberkreisdirektor Dr. Karl-Heinz Decker, der als Rechtsreferent, Stadtverordneter in Euskirchen und Assessor im Bundesinnenministerium schon 1966 in einem leidenschaftlichen Plädoyer für eine Neuordnung der Landkommunen eintrat.
Decker: „Ich habe damals darauf hingewiesen, dass das soziale Gefälle zwischen Stadt und Land nur so auszugleichen sei. Das Leben auf dem Land sollte wieder attraktiv werden, der Dorfbevölkerung sollten ähnliche Annehmlichkeiten erschlossen werden, wie sie Stadtbewohnern längst selbstverständlich waren.“
Peter Wassong schilderte den Anschluss an Mechernich aus Weyerer Sicht, das damals noch zum Amt Zingsheim gehörte, Kehmeier die turbulente Geschichte der letztendlich gescheiterten Gemeinde Veytal, die mit Satzvey über kein wirkliches Zentrum verfügte und schließlich mit Zwischenstation Kommern bei Mechernich landete. Hubert Büth trug in der Podiumsdiskussion mit dem Moderator Manfred Lang lebhaft Innenansichten aus der damals in den Umbruch gestürzten Kommunalverwaltung bei.
Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick erinnerte in seinem historischen Abriss auch an den damaligen Satzveyer Amtskämmerer und späteren Euskirchener Landrat Josef Linden, der in einer Sitzung des Amtsrates Satzvey-Wachendorf-Enzen beklagte, dass es immer noch Vorschrift sei, für jede der 15 Gemeinden und das Amt dazu einen separaten Haushaltsplan aufzustellen.
Das bedeutete einen eigenen Gemeindeetat mit allen kameralistischen Finessen, auch wenn das Jahresetatvolumen wie beispielsweise in der heute zur Gemeinde Nörvenich gehörenden Ortschaft Dorweiler nur 50.000 D-Mark betrug. Dr. Schick: „Da lebte die Verwaltung unfreiwillig um ihrer selbst willen. Das war nicht effektiv.“
Mit „Zuckerbrot und Peitsche“
Das Land NRW machte Druck, kürzte den Kleingemeinden unter 5000 Einwohnern die Schlüsselzuweisungen, sprach sich angesichts des wachsenden Widerstands gegen Zusammenlegungen gegen Volksentscheide und sogar gegen die Beteiligung der insgesamt 150 Gemeinderäte aus. NRW forderte schließlich die Oberkreisdirektoren auf, eigene Vorschläge für die Kommunalreform in ihren Gebietskörperschaften zu unterbreiten. Schick: „Das Stichwort der sanften Gewalt, von Zuckerbrot und Peitsche der Landesregierung, machte die Runde.“
Der Altkreis Euskirchen zwischen Weilerswist und Kommern, Vettweiß und Münstereifel hatte 1965 rund 110.000 Einwohner in 85 Gemeinden, einschließlich vier Stadtvertretungen, 14 Amtsvertretungen und einem Kreistag. Schick: „Das brachte nicht weniger als 850 Gemeinde- und Kreisvertreter sowie 85 Gemeinde- und Amtsbürgermeister und einen Landrat mit sich, die die Bürger mit Aufwandentschädigungen auszustatten hatten.“
Der Bürgermeister: „Die Kreisverwaltung musste alle Satzungen, Haushaltpläne usw. aller 85 Klein- und Kleinstparlamente nachrechnen und überprüfen. Der Landkreis Köln – ohne die Stadt Köln – zählte damals zum Vergleich über 200.000 Einwohner, hatte aber nur neun Großgemeinden. Man rechnete aus, dass bei einer Gebietsreform im Kreis Euskirchen mit einer Konzentration auf beispielsweise 14 Großgemeinden mit 14 Gemeindeparlamenten in einer einzigen Wahlperiode zwischen drei und fünf Millionen Mark gespart würden.“
Im damaligen Kreis Schleiden sah die kommunale Welt nicht weniger gesplittert aus. Dort waren es 71 kleinere und größere Gemeinden (inkl. der amtsfreien Gemeinde Dreiborn sowie der Städte Schleiden und Gemünd). Die Gemeinde Mechernich mit Roggendorf und Strempt war mit 6450 Einwohnern die zahlenmäßig Größte, aber ganze 36 Gemeinden im Altkreis Schleiden hatten weniger als 500 Einwohner.
Kampf um Autonomie der Dörfer
Schick: „Die Emotionalität war groß, besonders unter den Gemeinde- und Amtsräten, aber auch die Bevölkerung engagierte sich – heute möchte ich fast sagen selbstverständlich – für den Erhalt der eigenen Selbständigkeit. War doch über Jahrhunderte das Dorf die ganze Welt – und das Nachbardorf häufig schon die Konkurrenz.“
Im Kreis Euskirchen war es vor allem der damalige Kreisdirektor und spätere OKD Bernhard Disse, der an einer Neugliederung des Altkreises Euskirchen arbeitete, strategisch aber bereits die Neugliederung der Kreise im Visier hatte, die auch 1972 tatsächlich kommen sollte. Im heutigen Stadtgebiet Mechernich ergriff der damalige Kommerner Gemeindirektor Norbert Leduc die Initiative. Er wollte Kommern mit Mechernich fusionieren.
Dr. Schick: „Aus dieser Verbindung würde ein leistungsfähiges Gebilde entstehen, das mit 55 Quadratkilometern und mehr als 11.500 Einwohner vielseitig strukturiert wäre. In seinem Kerngebiet könnte man mit 293 Einwohner pro qkm den Beginn einer mittelstädtischen Verdichtung erkennen. Die Verkehrslage wäre außerordentlich günstig, auch überregional, so Leduc 1966 im »Kölner Stadt-Anzeiger«“.
Doch zunächst gab es Widerstände – vor allem aus der Mechernicher CDU, wie der Unionspolitiker Dr. Hans-Peter Schick selbstkritisch rekapitulierte. Die Bevölkerung ließ hingegen in Bürgerversammlungen dies- und jenseits des heutigen Mühlenparks zwischen Mechernich und Kommern breite Zustimmung erkennen.
Viele Vor-, ein Familienname: Mechernich
„Über die Jahrhunderte gesehen kam 1969 und 1972 zumindest am Bleiberg zusammen, was sowie so schon immer zusammengehört hatte“, so der seit fast 20 Jahren regierende Mechernicher Bürgermeister: „Die territoriale Aufsplitterung des Bleiberggebietes ist ein wesentlicher Grund für das Ausbleiben des wirtschaftlichen Durchbruchs während mehrerer Jahrhunderte.“
Dr. Schick: „So kamen zwei wirtschaftlich sehr bedeutende Zentren – Mechernich und Kommern – dauerhaft an die Ränder ihrer Gebietskörperschaften zu liegen. Wenige Hundert Schritte lagen zwischen den beiden Zentralorten, doch konnte keiner für sich eine zentralörtliche Funktion für diese Region übernehmen.“ Dieser historische Fatalismus – und das sei das unbedingt Entscheidende – habe vor 50 Jahren mit der Kommunalen Neugliederung den Anfang seines Endes gefunden.
Das Denken und Handeln in der Generation der vor und während der Neugliederung politisch Verantwortlichen sei noch lange von gegenseitigem Misstrauen und Kirchturmspolitik bestimmt gewesen, so der Mechernicher Verwaltungschef: „Hingegen glaube ich, dass sich meine und erst recht die nachfolgende Generation heute als Mechernicher verstehen.“ Die 44 Orte seien zu Vornamen, Mechernich zum Familiennamen geworden.
Mit hervorragender meditativer bis spritziger Klassik begleitete das Strempter Aditya-Duo, Ava Rebekah Rahman und Matthias Diener, den Mechernicher Jahresempfang. Gleichzeitig warb das weltweit auch in anderen Ensembles tätige Berufsmusikergespann für das Ende August (22. – 24.8.) in der Strempter Pfarrkirche St. Rochus stattfindende „Eifel Musik & Kunst Fest“, bei dem renommierte Künstler wie das Minguet Quartett, Markus Stockhausen, Tara Boumann, Aisha Salem und John Stuart Reid zum Einsatz kommen.
Die Bewirtung der über 400 Empfangsgäste übernahmen einmal mehr die Mitarbeiter des Städtischen Bauhofs und die Weltjugendtagsgruppe Mechernich, die gerade vom weltweiten Jugendtreffen mit Papst Franziskus aus Panama zurück am Bleiberg sind. Für die Sicherheit und Gesundheit sorgte wie erwähnt die Rotkreuz-Bereitschaft Mechernich.
Am Rande des Jahresempfangs überreichte das von Peter Züll geleitete Ü-50-Orchester 4800 Euro Reinerlös vom Benefizkonzert in der Kommerner Bürgerhalle am 1. Dezember an Rolf Jaeck für die Jugendarbeit des Vereinskartells Kommern.
„Geschichtsunterricht mit Dr. Schick“
Überhaupt verlief der von Manuela Holtmeier und Ralf Claßen von der Stadtverwaltung vortrefflich in Szene gesetzte Jahresempfang 2019 gar nicht „stief unn staats“, wie man das von derartigen Anlässen früher gewohnt war. So sorgte der Bürgermeister in seiner Ansprache, die von der örtlichen Presse mit „Eine Geschichtsstunde mit Dr. Schick“ überschrieben wurde, wiederholt für Szenenlacher.
Zum Beispiel, als er den damaligen Stadtdirektor Trimborn von Zülpich als Chef von zig Verwaltungen als „18fachen Supermann“ bezeichnete, der in Wahrheit doch nichts anderes gewesen sei, als ein „armer Teufel“, der wie bei Dorweiler (heute Gemeinde Nörvenich) Haushaltspläne von gerade mal 50.000 D-Mark aufzustellen und ihre Einhaltung selbst zu überwachen hatte. Schick: „Da lebte die Verwaltung doch teilweise um ihrer selbst willen…“
Oder als Dr. Schick einen bauernschlauen Weyerer Kommunalpolitiker zitierte, der die kommunale Eigenständigkeit wählen und die „neue Infrastruktur Mechernichs trotzdem zu nutzen“ beabsichtigte.
Mit dem zur Zeit der Kommunalen Neugliederung angesagten Udo-Jürgen-Song „Oh bleib bei mir“ brachte Dr. Schick schließlich den Satzveyer Amtsdirektor Jäntgen in Verbindung, dem die Gemeinden seines Amts nach und nach von der Fahne gingen und er die Felle der erträumten Großgemeinde Enzen-Satzvey davonschwimmen sah.
Voller Humor und damals wohl selbstverständlicher Bauernschläue entpuppte sich auch die Runde der Zeitzeugen Dr. Karl-Heinz Decker, Heinz Kehmeier, Peter Wassong und Hubert Büth. Der Kommerner Ex-Gemeindedirektor Norbert Leduc, neben dem schließlich aus dem Duell der „Alphatiere“ siegreich hervorgegangenen Mechernicher Gemeinde- und Stadtdirektor Helmut Rosen, zeigte sich in ihren Erzählungen nicht nur als gnadenlos guter Schauspieler und Taktiker, der dem Bistum Kirchenland für den Straßenbau abluchste – Leduc sei im Nachhinein sicher einer der entscheidenden Architekten der heutigen modernen Stadt Mechernich gewesen, so ihr Urteil.
Neue kommunale Neugliederung?
Während Ex-Bürgermeister Peter Wassong und Ehrenbürgermeister Heinz Kehmeier die Stadt in ihren jetzigen Grenzen als ausreichend stabil für die Zukunft erachteten, plädierten Ex-Gemeindedirektor Hubert Büth und Ex-Oberkreisdirektor Dr. Karl-Heinz Decker für eine zweite neue Kommunalreform.
Der frühere Dahlemer Verwaltungschef Büth: „Mechernich als zweitgrößte Stadt des Kreises bildet wohl eher die Untergrenze künftiger Verwaltungsstrukturen, Gemeinden wie Dahlem sind für die Zukunft entschieden zu klein.“ Dr. Decker: „Das Land muss sich neu und stärker formieren, damit es von den Städten und Ballungsrandzonen nicht untergebuttert wird. Wir dürfen das Feld der Planung nicht den I…. am grünen Tisch überlassen.“
pp/Agentur ProfiPress