Studieren in Indien – Zwischen Chaos und Elite-Uni
Hier der dritte Bericht unseres Euskirchener Rotkreuzlers Andreas Schwill, der ein Auslandssemester in Indien verbringt: Das Management Development Institute in Gurgaon (Indien) wurde 1973 mit der Unterstützung der Industrial Finance Corporation of India gegründet. Mehr als 800 Studierende sind derzeit in die verschiedenen Programme des Instituts eingeschrieben. Das MDI findet sich in Rankings regelmäßig unter den Top 10 der indischen Businessschools wider.
Tür zu! Beamer an! Die Vorlesung beginnt. Wer jetzt noch nicht im Vorlesungssaal sitzt, hat Pech gehabt und bekommt einen Abwesenheitsvermerk. Heute steht Bilanzanalyse auf dem Programm.
Der Professor versucht 30 indischen Studenten, zwei weiteren Austauschstudenten und mir die Besonderheiten von Bankbilanzen näherzubringen. Dabei muss er ständig das Dröhnen der Klimaanlage und der Deckenventilatoren übertönen, die die Hitze des Tages aus den Räumen vertreiben.
Plötzlich hört man den Professor einwandfrei: Stromausfall. Der Professor fährt unbeeindruckt fort und niemand wundert sich wirklich, denn dies gehört zu Indien wie die Kühe am Wegesrand und die hupenden Rikschas im Straßenverkehr.
Während ich schmunzelnd darüber nachdenke, weckt mich auch schon der Professor aus meinen Gedanken. Die erste Frage… Die Kurse sind sehr interaktiv.
Man sitzt also nicht einfach in seiner Bank und lauscht den mehr oder minder interessanten Vorträgen der Professoren, sondern muss sich rege am Unterricht beteiligen. Mündliche Mitarbeit zählt ebenso für die Note wie unangekündigte Tests, Zwischen- und Abschlussprüfungen, Hausarbeiten und Präsentationen.
Den Kursen kann man meist sehr gut folgen. Die Mehrheit der Professoren spricht einwandfreies Englisch, viele haben in den USA oder in Großbritannien studiert. Doch sobald eine Gruppendiskussion entsteht, herrscht ein Sprachenchaos.
Da die Studenten von der gesamten indischen Landkarte stammen, sprechen alle einen etwas anderen (indischen) Englischdialekt, womit die meisten Exchange Studenten große Probleme haben.
Auch mit den Professoren, die jede Stunde das Thema der Hausarbeit ändern, Sonderveranstaltungen am frühen Sonntagmorgen ansetzen oder das Lesepensum für die nächste Veranstaltung mal eben verdoppeln, sind für den europäischen Durchschnittsstudenten gelegentlich überfordernd, doch das gehört ebenso zur Indien-Erfahrung wie unvergessliche Augenblicke und skurrile Erlebnisse.
Indische Studenten, die sich für das Masterprogramm an der MDI bewerben, müssen einen Eignungstest und ein Auswahlverfahren durchlaufen. Nur ein Bruchteil der Bewerber (etwa einer aus tausend Bewerbern) schafft es, erfolgreich abzuschließen.
Doch wer erst einmal dabei ist und das harte Studium schafft, hat unabhängig von der Note erstklassige Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Fast alle Studenten werden durch die Universität an Firmen vermittelt.
Auf dem Campus des MDI gibt es nahezu alles, was man zum Leben braucht. Alle Studenten, die Austauschstudenten und die meisten Angestellten sind ebenfalls auf dem Campus untergebracht. Die Studenten meines Programms wohnen in zwei verschiedenen Wohnheimen in Doppelzimmern.
Der Campus ist eine grüne Oase im Gegensatz zur staubigen Welt, zum Straßenverkehrslärm, zur smogverhangenen Sonne und dem Chaos der Stadt Gurgaon vor den Toren des MDI. Gurgaon ist eine Satellitenstadt der indischen Hauptstadt Delhi, in der sich viele westliche Firmen niedergelassen haben.
Der Studientag beginnt meist gegen 8.30 Uhr und endet für Viele um 19.15 Uhr. Aber damit nicht genug. In den Sonderveranstaltungen, die häufig bis 10 Uhr abends dauer,n besteht meist auch Anwesenheitspflicht. Und danach gilt es Präsentationen und Hausarbeiten vorzubereiten oder für einen möglichen unangekündigten Test am nächsten Tag vorbereitet zu sein.
Manchmal frage ich mich, wann der indische Student eigentlich schläft, denn nachts sind die Flure genauso belebt wie tagsüber. Doch wenn man sich in der Vorlesung umschaut, gibt es doch den einen oder anderen, dem die Augen dann doch zufallen. Wer Pech hat, wird unsanft vom Professor geweckt…