Eifelland - Hilfe bei traumatischen Erlebnissen
Kriseninterventionsdienst des Roten Kreuzes im Kreis Euskirchen besteht seit zehn Jahren – 22 ehrenamtliche Frauen und Männer stehen für Betroffene, Angehörige und Einsatzkräfte bereit, wenn es außergewöhnliche Notlagen oder Großschadensereignisse gibt
Eifelland – Gerade in Krisensituation ist handfeste Unterstützung ein wahrer Segen. Das Zugunglück 1998 in Eschede mit mehr als 100 Toten zeigte, dass nicht nur Betroffene und Angehörige in solchen Fällen Beistand brauchen, sondern auch die Einsatzkräfte. „Aus diesem Gedanken heraus ist vor zehn Jahren der Kriseninterventionsdienst des Roten Kreuzes im Kreis Euskirchen entstanden“, berichtete Rainer Brück (45), Gründer der Notfallgruppe mit 22 Mitarbeitern zwischen 22 und 68 Jahren, jetzt zum runden Jubiläum.
Die zwölf Männer und zehn Frauen stehen immer dann bereit, wenn es außergewöhnliche Notlagen oder Großschadensereignisse gibt. Zu den Aufgaben des Kriseninterventionsdienstes (KID) gehört es etwa, bei Selbstmorden, plötzlichem Kindstod oder tödlichen Verkehrsunfällen vor Ort zu sein und mit den Angehörigen oder weiteren Betroffenen zu sprechen, aber auch, Todesnachrichten zu überbringen oder bei anderen traumatischen Erlebnissen zur Seite zu stehen.
Warum übernimmt man freiwillig so eine anspruchsvolle Aufgabe? Horst Schuh (68), Psychologie-Professor, berichtete im Rotkreuz - Zentrum Euskirchen / Eifel: „Es ist vor allem der Wunsch, zu helfen. Aber man lernt auch selbst aus jedem Einsatz etwas.“ Außerdem sei die Dankbarkeit der Betreuten und einfach der Erfolg, jemanden aus einer schweren Krise geleitet zu haben, schon Lohn genug für die Ehrenamtler des KID.
Dennoch ist die Aufgabe durchaus herausfordernd. Irmgard Bünder (61), Lehrerin und Mediatorin: „Ich habe aber erfahren, dass ich gerade in Krisensituationen große Stärke entwickeln kann.“ Diese Stärke helfe ihr, mit Trauernden zu reden, einfach da zu sein, ohne sie mit Informationen oder schein-tröstenden Worten zu bombardieren. „Wir können nichts abnehmen, aber den Betroffenen das Gefühl geben, das wir mittragen“, so Bünder.
Horst Schuh betonte, dass nicht ein therapeutisches Angebot oder eine dauerhafte Trauerbegleitung Aufgabe des Teams sei. „Wir vermitteln aber natürlich etwa an das Opfernetzwerk oder andere Fachleute.“ Die Mitarbeiter des KID versuchen in der traumatischen Krisensituation Menschen aus der Starre, dem Schock zu lösen und wieder „ins Leben“ zurückzubringen. „Dadurch werden die Betroffenen wieder handlungsfähig, es wird wieder etwas Alltag möglich.“ Oft gibt es einen Zweitkontakt mit den Angehörigen, etwa bei einer telefonischen Nachfrage, aber auch, wenn KID-Mitarbeiter auf die Beerdigung der Verunglückten gehen.
Irmgard Bünder: „Ein Einsatz dauert im Schnitt zwei Stunden, aber es kann natürlich auch wesentlich länger werden.“ So etwa im Fall eines vermissten Kindes, bei dem die Betreuung der Angehörigen von Sonntagmittag bis Sonntagmorgen dauerte. Zum Einsatz fahren die Mitarbeiter immer mindestens zu zweit. „Das ist wichtig, denn wir reden nach dem Einsatz immer darüber, um nichts in unsere Familien zu tragen.“ Neben Fortbildungen treffen sich die Ehrenamtler einmal im Monat zu einem gemeinsamen Gespräch, auch ruft der KID-Leiter Rainer Brück nach dem Einsatz bei seinen Teammitglieder an, um über das Erlebte zu sprechen.
Horst Schuh: „Und jeder hat seine eigenen Methoden und Rituale, um das Erlebte zu verarbeiten.“ Entspannungstechniken werden nicht nur den Betroffenen empfohlen, sondern auch im Team selbst praktiziert. Der Psychologe ist unter anderem auch als Krisenmanager bei der Bundeswehr zur Truppenbetreuung international im Einsatz.
Auch im Kreis Euskirchen besteht eine weitere Aufgabe des KID in der Unterstützung der Einsatzkräfte. „Da gibt es manchmal zwar noch immer ein paar harte Männer, die meinen, sie kommen selbst mit Extrem-Erlebnissen klar, aber die Akzeptanz wächst glücklicherweise“, so Schuh. Bei den Einsatzkräften wie Feuerwehr oder Rettungsdienst ist das KID-Team auch schon vor den Krisen bekannt: Denn die Teammitglieder bieten als Primärprävention Schulungen an. „Dadurch gibt es bereits viel Vertrauen.“ Es sollte Normalität haben, die Hilfe des Kriseninterventionsteams genauso anzunehmen wie medizinische Hilfe bei körperlichen Verletzungen, so Schuh.
Bei extremen Fällen rückt eine ganze Gruppe des KID an, so wie bei dem schweren Busunglück 2004 mit 66 dänischen Jugendlichen. Zwei junge Dänen sterben noch am Unglücksort, 58 Businsassen werden mehr oder weniger schwer verletzt. Schuh: „Da ging die Betreuung über Tage, wir sind in die Krankenhäuser gefahren, haben mit Angehörigen gesprochen und Einsatzkräfte betreut.“ Dieser Einsatz der Krisenbegleiter ist auch in Dänemark sehr positiv von den Medien aufgenommen worden. Die Leicht- und Unverletzten wurden zur weiteren Betreuung in das Rotkreuz-Zentrum gebracht.
Mit deutlichem Unverständnis berichtet Horst Schuh aber auch sechs Jahre nach dem Unglück über Fotos, die noch vor Überbringung der Unglücksnachricht an die Angehörigen per Handy nach Dänemark gesendet und veröffentlicht wurden. „Das macht unsere Arbeit natürlich bedeutend schwerer und erhöht die seelischen Leiden der Betroffenen“, betonte Horst Schuh. Auch wenn es in diesem Falle selbst Betroffene waren, die die Bilder weitergegeben hatten, würden manche Schaulustige oder auch Vertreter der Boulevardpresse manchmal ähnlich unsensibel reagieren. Glücklicherweise seien das aber die Ausnahmen bei den bislang 373 Einsätzen mit etwa 1500 Einsatzstunden bei 1652 Betroffenen und Einsatzkräften.
Auf die Frage, was man denn für die Mitarbeit in dem hilfreichen Team mitbringen müsse, antwortete Rainer Brück: „Kommunikationsbereitschaft und seelische Stabilität.“ 21 Jahre ist das Mindestalter im Team. Bereitschaft ist quasi 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. „Aber natürlich kann man einen Einsatz absagen“, so Schuh. Nicht nur aus zeitlichen Gründen, sondern weil man vielleicht gerade selbst Stress Zuhause hat oder die Tagesform nicht optimal ist – und da reicht auch schon Übermüdung aus.
Unter den KID-Mitarbeitern sind neben Privatpersonen auch Ärzte, Rettungsdienstmitarbeiter, Polizeibeamte und Pfarrer dabei. Horst Schuh: „Da die Einsatzfälle steigen, können wir weitere Unterstützung gut brauchen. Gerade die Zahl der Suizide in ist letzter Zeit stark angestiegen.“
Weitere Informationen unter www.kid-euskirchen.de