Euskirchen - „Macht die Kinder nicht falsch!“
Der bekannte Münchner Berater, Coach, Supervisor und Autor Mathias Voelchert beriet beim Roten Kreuz in Euskirchen Erzieher, Schul- und Institutionsvertreter, wie man Kinder zu Erfolg und persönlicher Erfüllung führt – Und zwar Praxistag „Familienbildung während der Grundschulzeit“ – Der Rotkreuz-Kreisverband Euskirchen ist mit der von ihm betreuten Offenen Ganztagsschule Blankenheim einer von zwölf Modellstandorten in ganz NRW
Blankenheim/Euskirchen – Erzieherinnen und Erzieher, Lehrer, Eltern und Vertreter von Behörden und Institutionen, die sich um Schulen, Kindergärten und Kinder kümmern, waren am Montag beim Roten Kreuz am Jülicher Ring zum Praxistag „Familienbildung während der Grundschulzeit“ eingeladen.
Ilona Raabe, die Chefin der Familienbildung beim Roten Kreuz im Kreis Euskirchen und Projektverantwortliche auch auf Landesverbandsebene beim DRK Nordrhein sowie Mitarbeiterin bei den Landesarbeitsgemeinschaften der Familienbildung in NRW, hatte als prominenten Gesprächspartner Mathias Voelchert, den Gründer und Leiter der bundesweit tätigen „Familienwerkstatt Familylab.de“ aus München eingeladen.
Der stellte sich zunächst in einem dreiviertelstündigen Interview den Fragen des Mechernicher Journalisten und Rotkreuz-Pressesprechers Manfred Lang, dann gab es drei Talkrunden mit Funktionären, in der Familienbildung Tätigen und schließlich mit Eltern und Erziehern, in die Voelchert auch immer wieder eingriff, beziehungsweise während derer dem Autor und Pädagogen auch immer wieder Fragen gestellt wurden.
Im Mittelpunkt stand seine These, dass Kindergarten, Schule und Elternhaus aus den Kindern keine Hochleistungs-Lerner machen sollen, sondern Menschen, die ihre eigenen Fähigkeiten und Anlagen entdecken und ausbauen lernen. „Mach mich nicht falsch“, so formulierte Mathias Voelchert die unausgesprochene Hauptforderung der Kinder an ihre Eltern und Erzieher.
Eltern und Erzieher sollen für
Kinder wie „Leuchttürme“ sein
Letztere würde der Münchner am liebsten zu „Leuchttürmen“ machen, denn Erzieher, Eltern und Lehrer seien dazu da, den Kindern Hilfe und Orientierung auf der Suche nach sich selbst und ihren Möglichkeiten zu geben. Schule sei keineswegs nur für den Kopf der Kinder zuständig, sondern für den ganzen Menschen.
Nahezu alle Praxistagteilnehmer, so schien es an den Redebeiträgen gemessen, bezweifelten, dass zumindest Schule diesem Anspruch gerecht wird. Kinder im Vorschulalter und deren Eltern würden in aller Regel in den Familienzentren und Kindertagestätten des Roten Kreuzes und anderer Träger sowie von den Familienbildungs-Organisationen der Kirchen und Wohlfahrtsverbände ganz ausgezeichnet betreut.
Auch in den Grundschulen werde Kindererziehung und Elternarbeit in der Regel noch großgeschrieben, hieß es. Aber den weiterführenden Schulen stellten die Praxistagteilnehmer doch insgesamt eher schlechte Noten aus, was den Charakterbildungs- und Persönlichkeitserziehungsauftrag angeht.
Maren Sirringhaus, die bisherige Leiterin der Grundschule Lommersum (Gemeinde Weilerswist) und neue Leiterin der Grundschule Blankenheim, berichtete nach Rücksprache mit ihrem Vorgänger Ulrich Lindner-Moog über gute Erfahrungen mit einem Modellprojekt „Familienbildung während der Grundschulzeit“, das das NRW-Familienministerium mit Hilfe des Roten Kreuzes seit 2011 an der Offenen Ganztagsschule Blankenheim durchführt.
Ihr sei sofort aufgefallen, so Maren Sirringhaus, dass überdurchschnittlich viele Eltern der betreuten Klassen an Elternversammlungen teilnehmen, sich also für Belange der Schule und ihrer Kinder stärker interessieren als vergleichbare Klassen. Mathias Voelchert sprach in diesem Zusammenhang vom „lebenswichtigen Dreieck „Kinder, Lehrer, Eltern“. Diese drei Menschengruppen müssten Schule miteinander „besprechen“, „aushandeln“, „durchführen“, so der Vorwortautor von Jesper Juuls Pädagogik-Bestseller „Schulinfarkt“.
Auf seinen Analysen und Provokationen baut eine sehr menschenfreundliche Pädagogik auf, so Voelchert, der eine Schule propagiert, die die Kinder nicht zum „Bulämielernen“ erzieht und damit womöglich auch noch fürs Leben mit Versagens-Ängsten und Unglück belastet. Dabei ging es Voelchert nicht um eine bestimmte Methodik oder pädagogische Lehre, sondern um „Dialog: Kinder, Lehrer und Eltern müssen miteinander in einen Dialog kommen, wie sie Schule organisieren, damit auch der Letzte mitkommt und seine Prüfung dann ablegt, wenn er soweit ist“.
„Geheimrezept der Lieblingslehrer
ist durchaus kopierbar“
Mathias Voelchert zeigte sich beim Euskirchener Praxistag sicher, dass Dialogfähigkeit das „Geheimrezept der Lieblingslehrer“ sei: „Aber sie ist erlernbar: Man kann das leben, ohne die Protagonisten auszutauschen.“ Obwohl Voelchert seine und Jesper Juuls Thesen vorsorglich als „Provokation“ bezeichnete, nahm niemand Anstoß an den Auffassungen. Im Gegenteil. Es gab viel Zustimmung, unter anderem auch von Erdmann Bierdel, dem Leiter des Jugendamtes beim Kreis Euskirchen, der die Hauptverantwortung für die Kindergärten und Familienzentren im Kreisgebiet und damit für das Wohl der Kinder trägt.
Auch Renate Katz, die für die Grundschulen zuständige Schulrätin beim Schulamt des Kreises Euskirchen, und in dieser Funktion auch Leiterin der Schulleiterkonferenz der Grundschulen im Kreisgebiet, ging keineswegs auf Distanz zu Mathias Voelcherts Vorstellungen. Nur die Sinnhaftigkeit von Lehrplänen mochte sie nicht in Frage gestellt wissen.
Nach Katz, Sirringhaus und Bierdel ließ Rotkreuz-Moderator Manfred Lang in einer zweiten Talkrunde Bernhard Rietfort vom Familienbildungswerk des Bistums Aachen in den Regionen Düren und Eifel, Ilona Raabe und Bodo Froebus von der Familienbildung des Roten Kreuzes sowie last but not least Trudi Baum, die Leiterin des Rotkreuz-Familienzentrums Schönau (Stadt Bad Münstereifel) ihre Erfahrungen mit Eltern und Kindern dem Auditorium vorstellen.
Dabei wurde es ganz konkret, dass viele Eltern mit Kindern tatsächlich Hilfe bei der Erziehung und beim übrigen Familienmanagement brauchen. Deshalb, so der allgemeine Tenor, sei es auch sträflich, dass Familienbildung mit dem Ende der Grundschulzeit praktisch abreiße.
„Jeder, der Rat braucht,
bekommt auch Rat . . .“
Trudi Baum machte deutlich, wie das von ihr geleitete Rotkreuz-Familienzentrum in Schönau auch Eltern weiterhilft und sie weiterberät, wenn die Kinder längst dem Kindergarten- und Grundschulalter entwachsen sind: „Es wird auch keiner nach Hause geschickt, der aus einer anderen Kommune kommt, wenn er Rat braucht . . .“
Ilona Raabe, die Leiterin der DRK-Familienbildung im Kreis Euskirchen, hat selbst drei Jahre Horterfahrung und leitete zuvor fünf Jahre einen Montessori-Kindergarten, ehe sie vor 15 Jahren zur DRK-Familienbildung kam. Bodo Froebus berichtete über die speziellen Erfordernisse der Familienbildung im Umgang mit Familien, die aus dem Ausland nach Deutschland kamen. Der Migrationsfachmann in Ilona Raabes Team arbeitet auch beim Modellprojekt an der Grundschule Blankenheim mit.
Mit einer offenen Elternrunde ging der Praxistag für die „Familienbildung während der Grundschulzeit“ zu Ende, den Rotkreuz-Kreisgeschäftsführer Rolf Klöcker eröffnet hatte. Dabei konnte Klöcker Seminarteilnehmer aus eigenen Rotkreuz-Einrichtungen sowie anderen Wohlfahrtsverbänden begrüßen, die meisten kamen aus dem Kreis Euskirchen, aber auch viele aus den Nachbarkreisen, einige auch aus dem rechtsrheinischen Rheinland,. Frauen waren eindeutig in der Mehrheit.
An der Eltern-Schlussrunde beteiligten sich Gastautor Voelchert und viele aus dem Auditorium, besonders die beiden Mütter Dunja Kutschbach und Nevin Sezgin sowie Rotkreuzmitarbeiter Patrick Dost, der sich als Vater eines gerade schulpflichtig gewordenen Kindes in die Elterndebatte einschaltete.
Die an diesem Nachmittag im Euskirchener Rotkreuzzentrum zutage tretende Elternmeinung war alles andere als eine Gratulationsrunde für Schule und Lehrer, aber sie zeigte auch, dass und wie Eltern den von Mathias Voelchert propagierten Dialogprozess im „magischen Dreieck Kinder – Lehrer – Eltern“ anstoßen können, wenn er nicht von der Schule ausgeht: Nevin Sezgin erzählte, wie sie mit anderen Eltern und mit Unterstützung der Lehrer an der Schule ihrer Tochter „Kulturelle Wochen“ organisiert hatte, bei denen unterschiedliche Religionen und Kulturen, aber auch Nahrungsmittel und Gerichte durchgenommen, erklärt und ausprobiert wurden. „In einer Woche haben wir einen Tag über die christliche Kommunion gesprochen, damit auch die muslimischen Kinder und Eltern es verstehen, dann wieder über die Kultur und Lebensverhältnisse in Indien gesprochen oder den Ramadan“, so Nevin Sezgin.
pp/Agentur ProfiPress