Euskirchen - „Umweg Prag“
Ein Stück Deutsch-Deutscher Geschichte wird im Kreishaus lebendig – Ausstellungseröffnung zu der Flüchtlingswelle, die im Herbst 1989 die Deutsche Botschaft in Prag überflutete – Rotkreuzlerin aus Euskirchen führte Tagebuch über die Erlebnisse.
Euskirchen - „Das kann man sich gar nicht mehr vorstellen: 10.000 Menschen leben über Wochen auf einem Gelände nur ein Drittel so groß wie die Kreisverwaltung – und das nicht etwa in Pakistan, von wo man solche Bilder im Katastrophenfall kennt, sondern in Europa!“, erinnerte Rolf Zimmermann, Geschäftsführer des Roten Kreuzes im Kreis Euskirchen, an ein Stück Deutsch-Deutscher Geschichte: nämlich die Erlebnisse tausender DDR-Flüchtlinge in der Prager Botschaft 1989.
Vor Ort waren damals 30 Rotkreuzler aus dem Kreis Euskirchen, wie sich der damalige Kreisbereitschaftsführer Rolf Zimmermann im Kreishaus Euskirchen bei der Ausstellungseröffnung „Umweg Prag“ zu den Geschehnissen im Herbst 1989 erinnerte.
Landrat Günter Rosenke bei seinem Grußwort zur Eröffnung am vergangenen Donnerstag: „Der ersten Ausreisewelle über Prag - der noch zwei weitere folgen sollten - bis hin zum Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 war ein jahrelanger politischer Prozess vorausgegangen. Und manch einem ehemaligen DDR-Bürger ging es nicht schnell genug: Zu Tausenden versuchten sie, über benachbarte Ostblock-Staaten in den Westen zu gelangen.“
Als sich die Deutsche Botschaft in Prag mit DDR-Flüchtlingen überfüllte, seien die Helfer vom Deutschen Roten Kreuz mehrere Wochen lang als einzige vor Ort gewesen, um dem immer größer werdenden Flüchtlingsstrom zur Seite zu stehen.
Die Ausstellung wäre so ohne die Rotkreuzler aus dem Kreis Euskirchen nicht möglich gewesen, wie die Oldenburger Kunsthistorikerin und Ausstellungsmacherin Dr. Maren Ullrich bei der Eröffnung im Kreishaus betonte: „Nach eingehender Prüfung meiner ehrlichen Absichten durch Rolf Zimmermann haben mich die Rotkreuzler hier sehr unterstützt, mit ihren Erinnerungen, Exponaten wie einer kompletten Feldküche und Feldbetten sowie vielen Fotos.“
Angelika Schmitz ist eine der Euskirchener Rotkreuzlerinnen, die am 20. September 1989 mit einem Küchentrupp der Euskirchener Rotkreuzler in der Prager Botschaft eintrafen.
Ihre Eindrücke hat sie in einem Tagebuch festgehalten. Darin heißt es unter anderem: „Die erste Nacht haben wir alle beim Hausmeister auf dem Teppichboden übernachtet.“
Die Flüchtlinge wurden in Zelten im Garten, in Nebengebäuden der Botschaft, im Visa-Haus, in dem früher die Visaabteilung war, sowie im Haus des Hausordnungsdienstes, gestellt durch Angehörige des Bundesgrenzschutzes, untergebracht.
Diese hatten ihr Haus geräumt und wurden in Hotels untergebracht, die sie alle zwei Tage wechseln mussten. In den Häusern waren vorwiegend Säuglinge und Kleinkinder mit Eltern untergebracht. Sie verfügten über je zwei Toiletten und eine Dusche sowie eine Waschmaschine.
Weiter heißt es im Tagebuch: „Auf Wunsch der Leitung wird Coca Cola nur einmal die Woche ausgegeben. Coca Cola ist hier ein westlicher Luxusartikel, der in der CSSR nicht besorgt werden kann. Es soll keine tägliche Erwartungshaltung aufgebaut werden.“
Die Versorgung der immer zahlreicher heranströmenden Flüchtlinge wurde immer schwieriger.
Rolf Zimmermann: „Da auch nicht genügend Geschirr vorhanden war, haben die Rotkreuzler irgendwann Konservendosen als Schüsseln genutzt.“
Drei Rotkreuz-Feldküchen, die für jeweils 500 Personen ausgelegt sind, mussten 10.000 Menschen versorgen.
Am 25. September 1989 trägt Angelika Schmitz ein: „Die Ordnung löst sich langsam auf. Da die Zelte im Garten nicht mehr ausreichen, werden Betroffene in dem überdachten Teil des Hofes untergebracht.“ Am darauffolgenden Tag heißt es für die Rotkreuzler: „Frühstück für uns selbst fällt aus, keine Zeit!“
Den gesamten Tag über wird gekocht, Frühstück, Mittagessen, Abendessen gehen ineinander über. Die Rotkreuzler starten nachts wegen drohender Seuchengefahr eine Müllaktion: Die Prager Müllabfuhr wird mit Zigaretten und Whiskey bestochen, damit sie die überbordenden Müllberge entsorgt.
Angelika Schmitz am 28. September 1989: „Die ersten Betroffenen schlafen mittlerweile rund um die Küche auf Paletten.“
In der Ausstellung können sich die Besucher anhand großformatiger Schautafeln und Multimedia-Stationen über die Geschehnisse informieren.
Zahlreiche Trabbi-Modelle als Symbol für die vielen „Rennpappen“, die vor der Botschaft zurückgelassen wurden, und ein dreistöckiges original Feldbett aus der Botschaftszeit ermöglichen Geschichte zum Anfassen.
Sechs ehemalige Flüchtlinge berichten per Mausklick auf dem Computermonitor über die mitreißenden Geschehnisse im Herbst 1989. Noch bis Pfingsten ist die Ausstellung „Umweg Prag“ im Kreishaus zu sehen.