Solferino - Zurück zu den Anfängen des Roten Kreuzes
Euskirchener Rotkreuzler nahmen an der „Fiacollata 2010“, einem atmosphärisch dichten Fackelzug über jenes Schlachtfeld in Italien teil, auf dem Henry Dunant seine Inspiration zur Gründung des Roten Kreuzes erhielt – Die Frauen von Castiglione pflegten Soldaten beider Seiten und benannten das Wesentliche: „Tutti fratelli“ („Wir sind alle Brüder“) – Euskirchener Rotkreuz-Kreisgeschäftsführer Rolf Zimmermann und Begleiter besuchten in Genf die Hauptquartiere der beiden großen internationalen Rotkreuz-Organisationen IFRC (Föderation der Rotkreuz- und Roter Halbmond-Gesellschaften) und IKRK (Internationales Komitee vom Roten Kreuz)
Euskirchen/Solferino/Genf - Eine Euskirchener Rotkreuzdelegation ist heute von einer Besuchsreise zu den Ursprüngen in Italien und der Zentrale des Internationalen Roten Kreuzes und der Schweiz in die Kreisstadt zurückgekehrt.
Dabei nahm die Euskirchener Gruppe um den Rotkreuz-Kreisgeschäftsführer Rolf Zimmermann an den Feierlichkeiten zur Schlacht bei Solferino teil, die dem Schweizer Kaufmann Henry Dunant im Juni 1859 mit über 30 000 Verwundeten, die kaum medizinisch versorgt werden konnten, den Anstoß gegeben hatte, das Rote Kreuz zu gründen.
Jahr für Jahr ziehen bei der so genannten „Fiacollata“, einem Fackelzug am Samstag nach dem Jahrestag der Schlacht, dem 24. Juni, Tausende vor allem junger Rotkreuzler aus Europa und Übersee bei Einbruch der Dunkelheit von Solferino zehn Kilometer weit nach Castiglione, wo nach der Schlacht Verwundete von Henry Dunant und den Frauen von Castiglione in Kirchen und Häusern versorgt wurden. Dort entstand auch der programmatische Ruf gegen Krieg und Völkerfeindschaft: „Tutti fratelli“: „Wir sind alle Brüder!“.
„Rotkreuz-Feeling pur“
Rolf Zimmermann, der schon im Jahr 2009 an den Feierlichkeiten zum 150sten Jahrestag der Schlacht bei Solferino mit über 15 000 Teilnehmern aus aller Welt teilgenommen hatte, beschrieb die Atmosphäre bei der „Fiacollata 2010“ so: „Es ist eine Mischung aus Gänsehautgefühl und ausgelassener Lebensfreude, die einen mitreißt. Das ist auch für einen alten Hasen wie mich Rotkreuz-Feeling pur.“
Zimmermann zitierte in dem Zusammenhang einen Kollegen, der nach der „Fiacollata 2009“ sinngemäß gesagt hatte: “Du hast Dich im Lauf der Jahre daran gewöhnt, dass Du als Rotkreuzler nur ein Tropfen im Meer bist und die Welt nicht verändern wirst. Und plötzlich merkst Du, Du bist nicht allein, es gibt viele Tausend, ja Millionen anderer Tropfen in diesem Meer - und das verändert die Welt doch, beinahe unmerklich.“
Von Solferino aus, wo die Euskirchener mit etwa 5000 Rotkreuzlern aus aller Welt zusammentrafen, besuchten Rolf Zimmermann und seine Begleiter in Genf die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Roter-Halbmond-Gesellschaften (International Federation of Red Cross and Red Crescent Societes), in der 197 nationale Gesellschaften wie das Deutsche Rote Kreuz zusammengeschlossen sind, sowie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, das zurzeit in 80 Krisen- und Kriegsgebieten der Erde im Einsatz ist.
„Weltweit die gleichen positiv Verrückten“
Bei der Föderation traf die Euskirchener Delegation unter anderem mit Frank Mohrhauer, dem Leiter der Zentralabteilung (Cooperation and Government Support Department) zusammen. Der aus dem benachbarten Rotkreuz-Kreisverband Jülich (Kreis Düren) stammende Rotkreuz-Funktionär diskutierte mit den Euskirchenern über Armutsbekämpfung und Katastrophenhilfe weltweit, aber auch über äußeres Image und inneren Korpsgeist der weltweit in der Föderation vernetzten über 97 Millionen Angehörigen von 197 nationalen Rotkreuz- und Roter Halbmond-Gesellschaften.
Frank Mohrhauer, der mit Rolf Zimmermann auch Erinnerungen aus dem Rotkreuz-Landesverband Nordrhein austauschte, sagte zu Image und Korpsgeist der weltweit 97 Millionen Rotkreuz-Aktiven: „Wenn Du in Nagasaki oder Kuala Lumpur irgendwo in eine Rettungswache oder eine Rotkreuzbereitschaft kommst, merkst Du nach einer gewissen Zeit, auch wenn sie ganz anders aussehen und anders reden: Das sind die gleichen Typen wie in der Bereitschaft in Euskirchen oder in der Rettungswache Jülich, wo ich auch Dienst geschoben habe. Und es sind die gleichen ausrangierten Möbel, die sie von irgendwem geschenkt bekommen haben. Du merkst auf einmal: Das sind die gleichen im positiven Sinne Verrückten und sie lachen und diskutieren über die gleichen Sachen.“
Gespräche mit internationalen Pressesprechern
„Gut, dass es sie gibt“, ergänzte der Australier Matthiew Cochran, der Pressesprecher der „International Federation of Red Cross and Red Crescent Societes“, so der englische Eigenname des weltweit größten Hilfsnetzwerks. Cochran erörterte mit den Euskirchenern, zu denen auch Verantwortliche für die Rotkreuz-Pressearbeit vor Ort im Kreis Euskirchen gehörten, Strategien und mögliche Ansatzpunkte für die Kommunikation der weltweiten Verbindung, in der Rotkreuzler und ihre Schutzbefohlenen rund um den ganzen Globus stehen.
Neben dem Internationalen Rotkreuzmuseum in Genf stand auch das Hauptquartier des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) auf dem Besuchsplan der Euskirchener Delegation. Nicole Engelbrecht, eine von acht Presseattachés des IKRK, stand Rede und Antwort. Die Deutsche, die sechs Jahre lang im Kongo, Tschad und in Kenia im Feld gestanden hatte, wie der Einsatz in Krisen- und Kriegsgebieten beim Internationalen Roten Kreuz genannt wird, erläuterte die Schwierigkeiten, die das Internationale Komitee vom Roten Kreuz mit Öffentlichkeitsarbeit einerseits und der unbedingten Bewahrung von Vertraulichkeit andererseits habe.
Engelbrecht: „Es ist beispielsweise so, dass wir über die Haftbedingungen von Gefangenen - das IKRK steht weltweit mit 500.000 Gefangenen in 80 Ländern in Verbindung – nichts sagen, weil wir ihre Lebensumstände damit verschlechtern oder gefährden könnten.“
Beatrijs Vanhove, die Leiterin Besucherservice beim IKRK, hatte die Deutschen zuvor begrüßt und die auf Krisen- und Kriegsgebiete beschränkten Tätigkeitsfelder des IKRK umrissen. Menschlichkeit, Unparteilichkeit, Neutralität und Unabhängigkeit sind der so genannte „Modus operandi“ des im Gegensatz zur international besetzten Föderation von Schweizern geführten IKRK.
„Jedem helfen, nach dem Maß seiner Not“
Die strikte Einhaltung dieser Prinzipien soll gewährleisten, dass das Rote Kreuz jedwedem Kriegsopfer am Effektivsten helfen kann - jedem „nach dem Maß, wie es seine Not bedarf“, so ein Handlungsgrundsatz des IKRK. Für den Nichtinsider mag das überraschend oder sogar befremdlich klingen, aber für die weltweit 2000 Delegierten des IKRK und ihre ebenfalls weltweit 12 000 lokalen Helfer gehört es mit zum Aufgabenspektrum, Armee- und Polizeiangehörige, aber auch Angehörige sogenannter bewaffneter Gruppen über die Einhaltung der Regeln der Kriegsführung gemäß der Genfer Konvention zu unterrichten.
Ebenfalls zur Arbeit des IKRK gehört es, bereits im Vorfeld bewaffneter Auseinandersetzungen, Kontakt zu den Regierungen, Armeen und Organisationen der potenziellen Gegner aufzunehmen und Maßnahmen für den Kriegsfall zu ergreifen. Ein Umstand, der in der Öffentlichkeit nicht immer mit der erforderlichen Sorgfalt kommuniziert wird, so Nicole Engelbrecht: „Da hat ein Kollege in den Medien Schlagzeilen gemacht, indem er es als Ausnahmesensation und Eklat beschrieb, das Rote Kreuz unterrichte Taliban in Erster Hilfe.“
Die Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC) versteht sich im Gegensatz zum IKRK als Netzwerk der nationalen Gesellschaften, die ihrerseits auch alle mehr oder weniger stark mit den jeweiligen nationalen Regierungen zusammen arbeiten und vernetzt sind. Damit aber wären sie nach den strengen Kriterien des IKRK nicht neutral genug, um auch im Krisen- und Kriegsfall eingreifen zu können. Die Föderation organisiert weltweit humanitäre Hilfe außerhalb von Kriegs- und Krisengebieten.
Rolf Zimmermann: „Wir vor Ort beim Roten Kreuz im Kreis Euskirchen verstehen uns als Basis des Internationalen Roten Kreuzes, einer Bewegung, die vom Schlachtfeld in Solferino ausgegangen ist und die ganze Welt erfasst hat.“ Der Euskirchener Kreisgeschäftsführer und seine Begleiter gewannen in Solferino und Genf ein noch intensiveres Gefühl für das Zusammenspiel und die Aufgabenteilung der beiden großen internationalen Rotkreuzgesellschaften.
Zimmermann: „Das ist auch historisch bedingt: Henry Dunant und seine Mitstreiter haben das IKRK schon 1863, vier Jahre nach der Schlacht von Solferino, gegründet, um dem Elend der Verwundeten zu begegnen. Das waren damals noch 99,9 Prozent Soldaten. Aber schon die Erfahrungen im Ersten Weltkrieg haben gezeigt, dass das nicht reicht.“
2011 soll größere Euskirchener Gruppe teilnehmen
Während alles sich auf den Krieg konzentriert habe, starben um die Zeit weltweit 20 Millionen Menschen an der Spanischen Grippe, so Zimmermann: „Es gab also noch andere Aufgaben genug außer dem Krieg. Dafür hat man dann im Jahr 1919 die Föderation gegründet!“ Man habe es also weltweit mit zwei Rotkreuz-Organisationen, aber nur einer Rotkreuz-Bewegung zu tun. Rolf Zimmermann: „Es hat gut getan, das an den wesentlichen Schauplätzen unserer fantastischen Bewegung noch einmal ganz bewusst zu machen.“
Im kommenden Jahr ist die Reise einer größeren Euskirchener Rotkreuz- und Jugendrotkreuz-Gruppe geplant, die an den Feierlichkeiten in Solferino teilnimmt und die großen Rotkreuz-Zentralen in Genf besucht. Stippvisiten sollen dabei, wie diesmal auch, zu den Rotkreuz-Museen in Castiglione und Genf unternommen werden.