Vogelsang - Premiere im neuen Seminarhaus
150 Jahre Humanitäres Völkerrecht: Schweizer Professor Jürg Kesselring hielt Vortrag über Genfer Rotkreuz-Abkommen und deren weltweite Bedeutung – Eindrucksvoller Einblick in internationale Friedensarbeit des Roten Kreuzes - Kesselring: „Wir haben gelernt: Kriege gehen zu Ende“
Vogelsang - „Heute ist ein besonderer Abend“, kündigte Rolf Zimmermann, Ideengeber und Motor eines der größten Rotkreuz-Museen in Europa und seit 43 Jahren Rotkreuzler mit Leib und Seele, einen Vortrag in Vogelsang an. Mit zwei Kurzfilmen stimmte er die rund 50 Gäste, darunter Vertreter von Politik, Institutionen und Rotkreuz-Landes- und Kreisverband, ein. Im Wesentlichen drehten sie sich um die sieben Grundsätze der weltweiten Rotkreuz-Bewegung: Menschlichkeit, Unparteilichkeit, Neutralität, Unabhängigkeit, Freiwilligkeit, Einheit und Universalität: „One Voice“ - „eine Stimme“. Der zweite Film stand in Bezug zum Redner des Abends, Professor Jürg Kesselring.
Der Film zeigte das Einsatzgebiet des Internationalen Roten Kreuzes (IKRK), die Keimzelle der Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung. Kesselring, Jahrgang 1951, Mediziner, Lyriker und Hobby-Cellist, ist eines von 15 Mitgliedern des obersten Gremiums des IKRK. Der Professor für Neurologie an der Universität Bern und Zürich und Chefarzt einer neurologischen Klinik in der Schweiz schreibt in einem von ihm verfassten Gedichtband: „Die Fäden des Gewebes, die in mir inne wohnen, sind Tausendmillionen von Neuronen, die, musterhaft in meinem Leben, sich elastisch zu einem Netz verweben. „Es macht deutlich“, so Zimmermann, „das wir gemeinsam mit den Menschen dieser Erde in Frieden und in Freundschaft leben können. Wir wollen versuchen, das heute Abend zu beleuchten und deshalb freue ich mich sehr auf unseren Sommer-Gast.“
Mit einem „Guten Abend miteinander“, unverkennbar mit Schweizer Zungenschlag, begrüßte Kesselring seine Zuhörer. Das „Miteinander“, so Kesselring, sei etwas Wichtiges und ein gutes Motto für all das, was mit dem Roten Kreuz zusammenhänge. Der Libanon, Syrien und der Kongo zählten zu seinen Einsatzgebieten. Er kümmerte sich 1981 um die ersten russischen Gefangenen in Afghanistan und deren Rückführung. „Dies war eine ganz besondere Mission für das IKRK.“ Kesselring erzählte, wie er und seine Kollegen fünf „Lümmel“ aus Kabul herausgeholt haben, die nicht einmal wussten, wo sie genau waren und gegen wen sie überhaupt ihren Krieg führten. Die sehr aufwändige Aktion hat laut Kesselring zu einer Wende in der Politik geführt.
Wie kleine „Keimzellen“ etwas bewegen können, wenn sie richtig bewässert werden, war der rote Faden, der sich durch Kesselrings Vortrag zog. Er beleuchtete die Gründung des IKRK, dessen 15-köpfiges Komitee auch heute noch ausschließlich von Schweizern besetzt werden darf. So will es laut Kesselring die Staatengemeinschaft. Als Präsident der IKRK-Gesundheitskommission ist er unter anderem verantwortlich für die internationalen humanitären Einsätze des Roten Kreuzes in Kriegs- und Krisengebieten. In Gaza, in Syrien, in Libyen und Ost-Ukraine ist das IKRK im Einsatz. Der Auftrag des IKRK ist die Durchsetzung der Genfer Konvention, die vor 150 Jahren in Genf unterzeichnet wurde. Unparteiisch, neutral und unabhängig zu handeln sei der Grundsatz des IKRK. „Das ist ganz schwierig umzusetzen. Aber es ist unabdingbar“, so der 62-Jährige.
Neutralität bedeutet für Kesselring in diesem Zusammenhang, dass man sich einmischt - auf beiden Seiten. „Das ist ein Grundsatz, an den wir uns strikt halten wollen und der ständig erarbeitet werden muss. Eine persönliche Präferenz darf keine Rolle spielen.“ Ein großer Teil seiner Arbeit im Krieg sei die Diplomatie, um das Völkerrecht einzufordern, um Menschen in Not zu helfen. Dabei spiele Neutralität laut Kesselring die wichtigste Rolle. Ein Balance-Akt, der auch Kesselring in manchen Situationen schwer fällt. Dann zum Beispiel, wenn ein guter Freund in einem Libanon-Einsatz an einem Checkpoint in seinem Auto erschossen wird. „Das sind Katastrophen des Selbstzweifels.“ Woher nimmt Kesselring persönlich die Motivation, trotz solcher Ereignisse weiter zu machen? „Weil wir aus der Geschichte gelernt haben: Kriege gehen zu Ende.“
Auch das IKRK habe es nicht geschafft, Kriege abzuschaffen. „Man versucht den Krieg vielmehr, handhabbarer zu machen“, so Kesselring, „und Menschlichkeit in unmenschlichen Situationen aufrecht zu erhalten.“ Zwischen den Waffen solle es auch noch Platz geben für Humanität. Für ihn manches Mal eine schwere Aufgabe, „ein Tropfen auf den heißen Stein“. Das Einhalten von Regeln gelinge nicht immer: „Das ist das riesige Problem für uns.“ Um die Probleme anzupacken, müssen Kesselring und seine Kollegen nah an die handelnden Menschen ran. „Aber dadurch droht uns auch Gefahr.“
Im Anschluss des kurzweiligen, anderthalbstündigen Vortrags konnten die Gäste bei einem kleinen Buffet noch das Rotkreuz-Museum besichtigen, das sich mit den Menschenrechten, dem humanitären Völkerrecht sowie der Geschichte und der internationalen sozialen Arbeit der Rotkreuz-Bewegung auseinandersetzt.
Anlässlich des Vortrages feierte auch der neue Seminarraum Premiere. Er befindet sich im Gebäude links neben dem Rotkreuz-Museum, einem vom Roten Kreuz angemieteten ehemaligen Kameradschaftshaus. Dort zeugten noch zu einer Ausstellung dekoriertes Werkzeug, Putzmittel und Fotos von einem Arbeitseinsatz von Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus der ganzen Welt im Rahmen eines Friedenscamps. „Wir haben das Haus einen Schritt weiter gebracht“, erklärte Zimmermann. Es soll als Seminarhaus dienen. Im Erdgeschoss, wo auch der Vortrag stattfand, ist Platz für rund 100 Leute, auf der ersten Etage gibt es Raum für weitere 34 Personen. Die Seminar-Schwerpunkte könnten sich laut Zimmermann um Menschen- oder Völkerrechte drehen, aber auch um Natur-Themen oder die NS-Geschichte. „Ich glaube, mit ein bisschen Glück entsteht hier ein Haus, das unser stark frequentiertes Transit-59-Gebäude entlasten wird“, sagte Zimmermann. „Wir sind überlaufen und kriegen die Kurve vor lauter Belegungen nicht mehr.“
pp/Agentur ProfiPress